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Das Hängerdisaster

Ein Wintertag, wie er im Buche steht. Herrlicher Sonnenschein, aber glatte Fahrbahn, durch den letzten Schneefall.  Ein Traktor befährt einen weiträumigen Innenhof einer Firma. Hinter dem Traktor befinden sich  zwei Anhänger. Der Traktorfahrer liefert seine Ladung ab und verlässt den Hof wieder.

 

Einige Zeit später stehen zwei Polizisten vor der Tür des Traktorfahrers und kassieren seinen Führerschein ein. Begründung: Er habe beim Verlassen des Firmengeländes mit seinen Anhängern zwei Pkw  mitgenommen und habe unerlaubt den Unfallort verlassen.

 

Der Gesichtsausdruck des Traktorfahrers spricht Bände. Er und einen Unfall verursacht? Er kann sich gar nicht daran erinnern. Schließlich hätte er auf jeden Fall reagiert, wenn es denn so gewesen sei.


Tatsächlich. Beim Verlassen des Firmengeländes traf der hintere der beiden Anhänger zwei Pkw und schliff sie ein paar Meter mit. Aber warum wusste der Traktorfahrer davon nichts? Solche Pkw kann man doch nicht übersehen und dann hatte noch eine Zeugin dem Traktor hinterher gerufen. Das muss er doch bemerkt haben.

 

 

Einige Zeit später steht der Traktorfahrer wegen Fahrerflucht vor Gericht. Ich sitze ihm und seinem Verteidiger gegenüber, weil mich das Gericht direkt zum Gutachter bestellt hat. Der Vorsitzende Richter eröffnet die Verhandlung und lässt den Staatsanwalt seine Klageschrift verlesen. Demnach ist der Traktorfahrer ein Schwerverbrecher, den man am liebsten auf alle Zeiten einsperren sollte. Es ist schon erstaunlich, wie maßlos manche Staatsanwälte in Ihren Vorträgen übertreiben.

 

Der Verteidiger hingegen fasst sich kurz und knapp und stellt den Antrag auf Freispruch. Der Richter nimmt die Beweise auf und will nun den Angeklagten befragen und spricht ihn an. Der reagiert aber nicht. Sein Anwalt bemerkt es und verpasst ihm mit dem Ellenbogen eine Seitenhieb. Der wiederum zuckt zusammen und bekommt jetzt erst einmal mit, dass er angesprochen wurde. Eine bessere Demonstration für Schwerhörigkeit hätte es nicht geben können. Also gehört hat er den Aufprall offensichtlich nicht. Aber gespürt und gesehen muss er es doch haben, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft.

 

Der Richter will nun von mir wissen, ob es denn so sei. In Vorbereitung auf die Gerichtsverhandlung hatte ich mir den Fall gründlich vorgenommen. Ich bin das Fahrverhalten des Traktors durchgegangen, habe die Position der Zeugin und der getroffenen Pkws berücksichtigt und die Sichtmöglichkeit des Traktorfahrers geprüft. Dabei stellte sich heraus, dass der Traktor derartig ruckelt, dass das Hängenbleiben von zwei Pkw nicht bemerkt werden kann und die Lage der Zeugin war schräg hinter dem Führerhaus des Traktors. Also, er konnte es weder hören, noch spüren, noch sehen. Und das habe ich dem Richter auch so gesagt, sehr zum Unmut des Staatsanwaltes.

 

Der Traktorfahrer wurde vom Vorwurf der Fahrerflucht frei gesprochen. Der Schaden wurde natürlich reguliert.

 

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