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Der Riese

Manfred ist guter Dinge und fährt mit seinem Golf 2 von der Stadt aufs Land. Er will einen Anhänger abholen, um ein paar Möbel transportieren zu können und hat deshalb seine Anhängerkupplung schon hinten dran. Seit einer geraumen Zeit verfolgt ihn ein Taxi. Dieses fährt ziemlich dicht auf, egal wie schnell Manfred fährt. Noch in der Stadt muss er an einer roten Ampel anhalten. Den Taxifahrer hat er schon wieder vergessen. 

 

Plötzlich bekommt sein Golf einen Schub begleitet von ohrenbetäubendem  Lärm. Zunächst schnallt Manfred nicht, was passiert ist. Nachdem der Pkw aber wieder zum Stehen kommt und Manfred  geistig etwas benebelt in den Rückspiegel schaut, sieht er hinter sich das Taxi, aus dessen Front Dampf aufsteigt. Manfred verspürt einen stechenden Schmerz im Hals, als würde er von zig Nadeln bearbeitet werden. Auch seine Schädeldecke droht abzuheben.

 

Mehr mechanisch, als überlegt, greift er nach seinem Handy und ruft seine Frau an. Er hatte einen Unfall, wisse aber noch nicht so richtig, was passiert ist. Er bittet sie, ihn abzuholen und sagt ihr noch, wo er sich befindet. Fünfzehn Minuten später  ist seine Frau an Ort und Stelle. Der Taxifahrer tuttert herum. Was ihm einfiele, einfach vor der Kreuzung zu halten, es wäre doch noch Gelb gewesen.

 

Die Polizei ist mittlerweile auch eingetroffen. Sie nimmt die Daten auf, unterlässt es aber Fotos zu machen, fragt noch nach, ob irgendwer verletzt ist. Nein, dann ist gut. Das Taxi muss abgeschleppt werden. Nach ein paar Minuten sind die Polizisten wieder verschwunden. Manfred und seine Frau schauen sich an. Wieso nicht verletzt. Er hat Kopfschmerzen, in seinem Hals sticht es, wie verrückt. Egal, Manfreds Frau fährt den Golf zur Seite und parkt ihn ab. Anschließend schiebt sie Manfred in ihr Auto und sie fahren erst einmal nach Hause.

 

Einige Jahre später geht dieser Fall vor das Sozialgericht. Der Vorsitzende Richter ist ein Riese mit fast zwei Metern Lebensgröße. Wie sich herausstellte, war die Ursache für die von Manfred beschriebenen stechenden Schmerzen im Hals ein angebrochener Halswirbel und zwar einer der oberen, lebensgefährlich.

 

Manfred und seine Frau hatten mich im Vorfeld des Sozialgerichtsverfahrens beauftragt, den Unfall zu rekonstruieren.  Der Pkw von Manfred war noch da, unverändert stand er auf dem Land in einer Garage. Das Heck des Golfs sah nicht wirklich dramatisch aus. Allerdings fiel auf, dass die Anhängerkupplung eine äußerst seltsame Form angenommen hatte. Einen Anhänger konnte man jedenfalls nicht mehr damit transportieren.

 

Ich ließ sich Manfred in sein Auto setzen und fotografierte ihn so von mehreren Seiten. Manfred ist fast zwei Meter groß. Eigentlich hätte man in das Dach des Golfs ein Loch schneiden müssen, damit Manfred bequem drin sitzen hätte können.

 

Ich sitze neben der Frau von Manfred im Gerichtssaal des Sozialgerichtes. Manfred selbst geht es sehr schlecht, sodass er besser zu Hause blieb. Uns gegenüber sitzt der große Vorsitzende Richter. Neben ihm zwei Laienrichter. Der Vorsitzende Richter hält mein Gutachten in der Hand. Er meint, er kenne es schon, aber seine beiden Beisitzer nicht. Sie sollen es sich ansehen und ich könne ja ein paar Erläuterungen dazu geben. Er lehnt sich entspannt zurück.

 

Plötzlich schnellt er nach vorn und zeigt auf das eine Foto, wo man Manfred von hinten auf dem Fahrersitz sitzen sieht. Sein Kopf ragt deutlich über der Kopfstütze hervor. Der Vorsitzende Richter schaut mich an und meint, die Kopfstütze wäre aber nicht voll ausgefahren. Doch, entgegne ich. Und man sieht, wie es im Kopf des Vorsitzenden Richters anfängt zu arbeiten und buchstäblich ein Film vor seinen Augen abläuft. Denn er hat dieselbe Größe, wie Manfred.

 

Wie sich letztendlich herausstellte, war die bildliche Vorstellung der ausschlaggebende Punkt für die positive Entscheidung des Richters.

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